Entwicklung der Krankenkassenlandschaft

Veröffentlicht am 07.06.2011 in Allgemein

ASG fordert: Keine Einschränkung der freien Krankenkassenwahl für Versicherte und keine Aushöhlung des Kündigungsschutzes für Beschäftigte bei Krankenkassenschließung. Ausreichende Finanzierung einer bedarfsgerechten Krankenbehandlung sicherstellen

Der Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG) in der SPD Baden-Württemberg sieht mit großer Sorge auf die Entwicklungen der Krankenkassenlandschaft in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Dabei führt uns die Schließung der City-BKK deutlich vor Augen, welche praktischen Probleme für Versicherte / Patienten und Beschäftigte der betroffenen Krankenkasse, für das gesamte gesetzliche Krankenkassensystem und für die Gesellschaft insgesamt bei einer Zwangsschließung durch das Bundesversicherungsamt - die der Gesetzgeber so gewollt hat entstehen:
• Die Versicherten und Patienten der Krankenkasse müssen bei einem Wechsel evtl. auf andere Rabattarzneimittel oder Hilfsmittel umsteigen, weil die Verträge mit unterschiedlichen Herstellern geschlossen sind.
• Das Arbeitsverhältnis für Beschäftigte der geschlossenen Krankenkasse endet mit dem Tag der Schließung ohne dass es einer Kündigung bedarf. Dadurch greifen weder Kündigungsschutzrechte, noch können Sozialpläne erstellt oder per Tarifvertrag Übergangsregelungen geschlossen werden.
• Zwar werden anders als bei der Insolvenz alle im Rahmen der Ausschlussfrist gestellten Forderungen befriedigt, dies bezahlen jedoch die Mitglieder aller Krankenkassen. Reichen die Mittel der geschlossenen Kasse oder des Kassenverbandes nicht, werden vom GKV-Spitzenverband alle Krankenkassen und damit alle Beitragszahler zur Mitfinanzierung herangezogen.
• Die breite Unterstützung und das Vertrauen in der Bevölkerung für unsere solidarische Krankenversicherung und in die Verlässlichkeit der Politik droht zu schwinden, wenn es nur noch um Wettbewerb geht und Versicherte eine nachrangige Rolle spielen. Diese Ausrichtung auf Preiswettbewerb wird durch die Drohkulisse von Schließung oder Insolvenz noch verschärft.
• Die Ausrichtung auf Preiswettbewerb wird durch die Drohkulisse von Schließung oder Insolvenz noch verschärft.

Wir halten es für dringend geboten, daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen und für die Versicherten und Beschäftigten rasch wirksame und umsetzbare Lösungen zu schaffen. Die SPD muss sich dabei als Partei der gesetzlich Versicherten profilieren. Deshalb fordert die ASG: (für diese Probleme vorzuschlagen und alle parlamentarischen Möglichkeiten im Bundestag und Bundesrat zur Umsetzung zu nutzen. Die SPD muss sich dabei als Partei der gesetzlich Versicherten profilieren:)
1. Es ist sicherzustellen, dass die freie Kassenwahl der Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung auch im Falle der Schließung oder Insolvenz einer Krankenkasse ohne wenn und aber gewährleistet ist. Die Aufnahmepflicht ist eines der herausragenden Merkmale der solidarischen Krankenversicherung und sichert jedem den gleichen Zugang zu allen Kassenleistungen. Sie darf nicht eingeschränkt werden. Trotz Aufnahmepflicht (§175, Abs. 1 S. 2 SGB V) wird Versicherten die freie Kassenwahl erschwert.
2. Um Kassenschließungen zu vermeiden, muss zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherungsbeiträge zurückgekehrt werden. Die Erhebung von Zusatzbeiträgen ist zu streichen und der Selbstverwaltung der Krankenkassen ist die Entscheidung über die Höhe des Beitragssatzes zurückzugeben (Finanzautonomie). Die ausreichende Finanzierung einer bedarfsgerechten Krankenbehandlung ist durch die von der ASG geforderten Bürger/-innenversicherung und der Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA), zwischen den Krankenkassen sicherzustellen.
3. Durch Änderung im Sozialgesetzbuch V ist zu regeln, dass der gesetzliche und tarifliche Kündigungsschutz der Beschäftigten einer Krankenkasse bei deren Schließung nicht durch Verwaltungshandeln eingeschränkt wird. Auch im Falle der Schließung oder Insolvenz einer Krankenkasse darf es keinen Entzug des gesetzlichen Kündigungsschutzes und der damit verbundenen Sozialauswahl geben. Sozialpläne sind zu ermöglichen. Es passt nicht, dass Kassen in einen Wettbewerb, wie ein Unternehmen gezwungen werden, den Vertretungen der Beschäftigten aber lediglich Rechte, wie im Öffentlichen Dienst zur Verfügung stehen. Allen Beschäftigten einer zu schließenden Krankenkasse sind im gesamten GKV-System Arbeitsplätze ortsnah anzubieten. Eine Weiterbeschäftigung ist zu gewährleisten.

Der ASG Landesvorstand Baden-Württemberg weist als Begründung für diese Forderungen darauf hin, dass bei Schließung einer Krankenkasse für Versicherte , Beschäftigte und Leistungserbringern in der Praxis unzumutbare Risiken entstehen. (Trotz Aufnahmepflicht durch eine andere gesetzliche Krankenkasse (§175, Abs. 1 S. 2 SGB V) wird Versicherten die freie Kassenwahl erschwert. Die City BKK ist die erste Kasse, die durch das Bundesversicherungsamt geschlossen wird. Bereits bei dieser ersten Schließung zeigt sich, dass die Regelungen des GKV- Organisationsweiterentwicklungsgesetzes (GKV-OrgWG) 2008 – insbesondere vor dem Hintergrund der von Schwarz-Gelb beschlossenen gesetzlichen Veränderungen zum 1. Januar 2011 - unzureichend sind. Die im GKV-OrgWG enthaltenen Schutzbestimmungen entsprechen nicht den Mindestanforderungen eines sozialen Rechtsstaats. Sie sind offensichtlich auch nicht ausreichend, um in der vom Wettbewerbsdenken geprägten Kassenlandschaft die freie Wahl der Krankenkasse für die Versicherten zu gewährleisten.
Die Bestimmungen zur Schließung einer Krankenkasse wurden 1992 mit der Einführung des Kassenwettbewerbs im Gesetzestext gefasst. In der damaligen Form wurden unterschiedliche Regelungen für die einzelnen Kassenarten aufgenommen. Sie waren zunächst für die Landesebene konzipiert. Insofern spielt beispielsweise die räumliche Nähe beim Angebot einer Anstellung (vgl. die Verweise auf § 164, Abs. 3 SGB V) dort noch keine Rolle. Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz 2007 und dem GKV-OrgWG 2008 wurden neben Gesundheitsfonds und krankheitsbezogenem Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) auch die Kassenstruktur grundlegend verändert, Anreize für die Bildung größerer Kassenverbände über Ländergrenzen hinweg geschaffen und anstelle der Spitzenverbände der Kassenarten ein gemeinsamer GKV-Spitzenverband eingerichtet. Für die Krankenkassen wurde neben der Möglichkeit zur Schließung auch ein Insolvenzverfahren vorgesehen.
Vor dem Mai 2011 wurde weder von der Schließung noch von der Insolvenz einer Krankenkasse Gebrauch gemacht. Die vorgesehenen Regelungen zur Schließung von Krankenkassen wurden jetzt erstmals angewendet.
Der von der Bundesregierung zum 1. Januar 2009 erstmalig festgesetzte Einheitsbeitrag und der Gesundheitsfonds der den Krankenkassen versichertenbezogene Pauschalen zuweist sowie die Einführung der Kopfpauschale zum 1. Januar 2011 haben die Konkurrenz zwischen den Krankenkassen erheblich verschärft. Der pauschale Zusatzbeitrag, den eine Krankenkasse dann erheben muss, wenn die Ausgaben höher sind als die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds, ist der entscheidende Wettbewerbsparameter an dem die einzelne Krankenkasse gemessen wird, ob sie wirtschaftlich mit dem Geld der Beitragszahler umgeht oder nicht. Zusatzbeiträge bedeuten in der Regel Mitgliederverluste. Deshalb wird die Entscheidung zur Einführung des Zusatzbeitrags und / oder dessen Anhebung möglichst lange hinausgeschoben. Dann jedoch kann es zu spät sein. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass die Schließung von Krankenkassen nicht auf einen Einzelfall beschränkt bleibt. Vielmehr ist ein Domino-Effekt zu Lasten der Versicherten und der Beschäftigten bei den Krankenkassen zu erwarten. Wir werden es nicht zulassen, dass diejenigen, die in der Bundesregierung die aktuelle Problemlage geschaffen haben, sich jetzt scheinheilig als Retter der Versicherten zu profilieren versuchen. Daher ist es notwendig jetzt von uns aus die politische Initiative zu ergreifen .
Es ist richtig mit der Konstruktion des Gesundheitsfonds wurde ein einheitlicher Beitragssatz für alle Krankenkassen eingeführt. Die Entscheidung über die Höhe des Beitragssatzes wurde der Selbstverwaltung der Krankenkassen genommen und auf die Bundesregierung übertragen. Diese war verpflichtet eine Beitragserhöhung dann durchzuführen, wenn aus dem Gesundheitsfonds weniger als 95 Prozent der Ausgaben der Krankenkassen finanziert werden konnten. Der unterfinanzierte Teil konnte durch Zusatzbeiträge der Krankenkassen bis zur Höhe von 1 Prozent des Beitragsaufkommens vom Mitglied erhoben werden. Dies war in der Großen Koalition der Preis dafür, dass zwischen den Kassen erstmals ein morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich (das ist ein Finanz- und Risikoausgleich, der die unterschiedlichen Entgelte der Mitglieder und Behandlungskosten für Versicherte zwischen den Kassen berücksichtigt) eingeführt wurde. Er führte zwar durch politische Vorgaben zu keinem vollständigen Ausgleich, er hat jedoch zu mehr Gerechtigkeit zwischen den Krankenkassen (einer Entlastung der sog. Versorgerkassen) beigetragen.
Dramatisch verschärft hat sich der Preiswettbewerb zwischen den Krankenkassen mit dem GKV-Finanzierungsgesetz zum 1. Januar 2011. Der Zusatzbeitrag wurde zur in Euro und Cent festgesetzten Kopfpauschale umgewandelt. Der solidarisch und paritätisch finanzierte Beitragsanteil wird nach diesem Datum nicht mehr erhöht. Demnach entfällt auch die durch den Gesundheitsfonds zu finanzierende Untergrenze der Ausgaben. Alle über die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds hinausgehenden Ausgaben der Krankenkassen und alle künftigen Ausgabenanstiege müssen über Kopfpauschalen allein durch die Mitglieder der Krankenkasse finanziert werden. (Lediglich für einen von der Bundesregierung jährlich festgelegten durchschnittlichen Zusatzbeitrag gibt es einen „Sozialausgleich“: Übersteigt der durchschnittliche Zusatzbeitrag 2 Prozent des versicherungspflichtigen Einkommens, wird der Beitragsanteil des Mitglieds entsprechend reduziert). Der von der Kasse individuell erhobene Zusatzbeitrag ist nicht begrenzt und muss vom Mitglied in voller Höhe gezahlt werden. Damit verschärft sich der Druck zum Kassenwechsel besonders für Mitglieder mit kleinen Einkünften oder Renten. Entsprechend wächst die Zahl der Kassen, die von Schließung bedroht sind vor allem dann, wenn keine geeigneten Fusionspartner zur Verfügung stehen.

 

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